Freitag, 1. August 2014

Dieter Schlesak, Zwischenschaftler und Vermittler, wird 80 - von Elisabeth Krause

Dieter Schlesak, Zwischenschaftler und Vermittler, wird 80



Ein bedeutender Dichter deutscher Sprache, Dieter Schlesak, der die moderne Poesie bis
an ihre extremen Grenzen führt, vollendet  sein 80. Lebensjahr. 

Dieter Schlesak wurde am 7. August 1934 in Schäßburg / Sighisoara im rumänischen
Transsylvanien als Angehöriger der Siebenbürgisch-Sächsischen Volksgruppe geboren. Er
besuchte die Bergschule, das Gymnasium und dann die pädagogische Schule seiner Heimatstadt.

1952 bis 1954 war er Lehrer im benachbarten Dörfchen Denndorf wo er einen großen Chor, eine Blasmusik und Tanzgruppen gründete. Ihm wurde dann für diese kulturelle Tätigkeit die „Medalia muncii“ der Großen Nationalversammlung verliehen.

Von 1954 bis 1959 studierte er in Bukarest Germanistik und Rumänistik. Nach dem Studium debütierte er mit Gedichten und Rezensionen in der Tageszeitung „Neuer Weg“ in Bukarest, wo er auch als Redakteur,
Herausgeber und Übersetzer bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ bis 1969 tätig war.  Er brachte die erste Ausgabe des siebenbürgischen Volksdichters Michael Albert nach 1944 heraus, ebenso Bände deutschsprachiger Dichter wie Rilke, Schiller, und anderer deutscher und österreichischer Autoren.  Vor allem übersetzte er junge rumänische Autoren und brachte Anthologien heraus.

Er überwand den damals diktierten „sozialistischen Realismus“, indem er sich als Literaturkritiker und
-historiker und in seinen Gedichten des Stils der Moderne bediente und das „Versteckspiel in der Metapher“ als Ästhetik und Theorie für sich erarbeitete, damit brisante Inhalte trotz Zensur zum Leser kommen konnten.

Als Redakteur bemühte er sich, einerseits gegen die marxistische Ästhetik mit ihrem primitiven Realismus und andererseits auch gegen die Heile-Welt-Idylle seiner siebenbürgischen Landsleute anzukämpfen, den Stil der Moderne als wichtigstes Angebot zu übernehmen und in die rumäniendeutsche Nachkriegslyrik einzuführen. Er versuchte, auch die jüngeren Lyriker an dieses Denken und Schreiben heranzuführen. Damit kam er nicht nur mit der staatlichen Zensur und der Chefredaktion sondern auch mit den sächsischen Traditionalisten in Konflikt. Und er begab sich in große Gefahr, konnten ihm doch die Kontakte zum Westen als Hochverrat angelastete werden, worauf die Todesstrafe im kommunistischen Rumänien stand. So war er „eingesperrt…zwischen Vaterland und Muttersprache“ (DS), nur noch im „Bodenlosen … beheimatet“ (DS), lebte also auf einer gefährlichen Grenze.

Sein erster eigener Gedichtband trägt bezeichnenderweise den Titel: „Grenzstreifen“. Darin heißt es:


AUF DER GRENZE GEHEN IST VERDÄCHTIG

(…)

Ich weiß:
jede Nacht ist ein Verbrechen,
jedes Herz ein Überläufer,
und der Tod ist mein Freund,
vor dem ihr, missmutig zwar, doch endlich
den Hut zieht.

In dieser Zeit schloss er auch Freundschaft mit den jüdischen Dichtern Alfred Kittner und Alfred Margul- Sperber und kam dadurch mit deren Freund Paul Celan in Kontakt. Durch eine intensive Beschäftigung mit
dessen Werk und Person und auch mit dem Hebräischen und der Kabbalah gewann sein Werk Tiefenschärfe.

1962 heiratete er Magdalena Constantinescu, eine rumänische Poetin. 1970 wurde ihr Sohn Michael geboren.

Immer sehnte er sich nach Deutschland, denn er las, schrieb ja Deutsch, fühlte sich der deutschen Literatur zugehörig. 1969 vollzog er den „Weltwechsel“, kehrte nach einer Dienstreise in die  Bundesrepublik nicht mehr nach Hause zurück. Er war nach der ersten Westreise 1968 zuerst wieder nach Rumänien zurückgekommen, doch Ende 1969 mit vielen Traumen erneut dienstlich in den Westen gereist und dann geblieben. In seinem ersten Westbuch „Visa“ beschrieb er diese traumatische Situation.
                                                                                                                                                                                   
Beim ersten Aufenthalt hatte er auch seine spätere Frau, die Übersetzerin Linde Birk kennen gelernt.

In der BRD konnte er nach anfänglichen Jubel-und Freiheitsempfindungen aber auch dem Schock, als Sinn-
und Sinnenverlust, auch nicht ertragen, dass so viele Nazis in Deutschland ein unbehelligtes Leben führten. So ging er erneut ins Exil, übersiedelte 1973 nach Italien; er hatte nun 3 Heimaten mit 3 Sprachen und nannte sich fortan einen Zwischenschaftler. Er lebte so im Bodenlosen, die deutsche Sprache war seine einzige wirkliche Heimat.

Das Trauma des Exils ist jedoch Erkenntnismittel und Antriebsfeder seines Schaffens gewesen und immer geblieben.

„Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“, sein erster großer Roman, erschien 1986. Die Darstellung des geschichtlichen Todes der Siebenbürger Sachsen ist auch für das bedrohte Schicksal der Welt heute wie zum Symbol geworden.


Die Naziverstrickungen des eigenen Volkes, denen der Autor nach eigener Aussage vielleicht nur durch die späte Geburt entging, ist auch das Thema des Dokumentar-Romans „Capesius, der Auschwitzapotheker.“ Der Apotheker Capesius, der in der Geburtsstadt des Autors mit seiner halbjüdischen Frau die „Kronen-Apotheke“ besaß, war mit den Eltern des Autors befreundet. Er verwaltete das Cyclon B in der KZ-Apotheke und schickte alle, die nicht zum Arbeiten eingesetzt werden konnten,Alte, Kranke, Mütter mit ihren Kindern ins Gas. Von einem ehemaligen Häftling in Deutschland wiedererkannt, saß er seine 9 Jahre Haft ab und verbrachte danach einen ruhigen Lebensabend in Wohlstand. Nur ein Poet wie Dieter Schlesak kann das Unsagbare, das in Auschwitz geschah,erfassen, (Georg Aescht). Dieses Buch ist inzwischen u.a. ins Amerikanische, Rumänische, Italienische, Holländische, Spanische, Portugisische, Ungarische, Polnische und Hebräische übersetzt worden.      

Mit dem neuesten Roman „Transsylwahnien“ vervollständigte Schlesak die Bücher „Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“, und „Capesius, der Auschwitzapotheker“ zu einer Trilogie.

In den Jahren 1989 bis 1992 entstanden Gedichtsmeditationen, die in die drei Kunst-Prachtbände der Dokumentation „Michelangelos neues Licht“ aufgenommen wurden.

2010 nahm Dieter Schlesak Einsicht in seine Securitate-Akte in Bukarest. Die Realität, die er dort zur Kenntnis nehmen musste, traf ihn zutiefst und schmerzlich, nämlich, dass alle Freunde der Bukarester Zeit ihn bespitzelt hatten. Daraus entstand das Buch „Die Hölle des Verrats;  Der rumänische Geheimdienst, Augenzeugenberichte, Dokumente, eigene Erfahrungen“, 2012. Es wurde allerdings von Dieter Schlesak noch nicht veröffentlicht.

Weitere Romane und  zahlreiche Essaybände entstanden.

Doch in erster Linie ist Dieter Schlesak Lyriker. Viele Gedichtbände sind im Laufe seines langen Lebens entstanden.
Und ganz besonders auf diesem Gebiet zeigt sich auch seine Vermittler-Rolle, in Übersetzungen und Herausgaben moderner rumänischer und siebenbürgischer Lyrik.
Gefährliche Serpentinen(1989), und Transilvania mon amour, (2009 zus. mit Cosmin Dragoste). Er übersetzte die 11 Elegien des großen rumänischen Lyrikers Nichita Stanescu. Und in Zusammenarbeit mit einer Gruppe italienischer Lyriker wurden seine Gedichte ins Italienische übertragen: Settanta volte sete, Siebzig mal Durst, und italienische Gedicht ins Deutsche: Grenzenlos Oltrelimite (2006).
Und in Zusammenarbeit mit der italienischen Lyrikerin Vivetta Valacca: La Luce del anima. Zeit Los brennt dieses Licht hier (2011).

Seine Vermittler-Tätigkeit spiegelt sich auch in der Gründung von Kulturvereinigungen in Rapallo, Italien, die Asosciatia Culturala „Dieter Schlesak“ und in Schäßburg, Rumänien durch die Asociata Culturala „Dieter Schlesak“ wider.

Für  sein Gesamtwerk wurde ihm 2005 der Ehrendoktor der Universität Bukarest verliehen.

Mit einem Zitat von Lerke von Saalfeld anlässlich der Verleihung des Maria-Ensle-Preises 2007 möchte ich meine Gratulation zum 80. Geburtstag beschließen: „Dieter Schlesak ist ein ungeheuer vielseitiger Poet und Schriftsteller, ein poeta doctus. Er schreibt, wie von Furien getrieben, um das Leben, den Tod, die Liebe, die Welt im Großen und im Kleinen zu erfassen. Er lässt sich treiben, und er wird getrieben. Er ist neugierig, skeptisch, voller Zweifel und voller Enthusiasmus – dabei immer auf Entdeckungsreisen. Der einzig feste Halt sind die Wörter, ist die Sprache, die er mit virtuoser Kunstfertigkeit und mit höchster Sorgfalt, geradezu liebevoll
oder libidinös in Szene setzt, sei es in der Prosa, sei es im Gedicht.“


Elisabeth Krause

Gastbeitrag 
von Elisabeth Krause (Berlin). 


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