Dieter Schlesak, Zwischenschaftler und Vermittler,
wird 80
Ein bedeutender Dichter deutscher Sprache,
Dieter Schlesak, der die moderne Poesie bis
an ihre extremen Grenzen führt,
vollendet sein 80. Lebensjahr.
Dieter Schlesak wurde am 7. August 1934 in
Schäßburg / Sighisoara im rumänischen
Transsylvanien als Angehöriger der
Siebenbürgisch-Sächsischen Volksgruppe geboren. Er
besuchte die Bergschule, das Gymnasium und
dann die pädagogische Schule seiner Heimatstadt.
1952 bis 1954 war er Lehrer im
benachbarten Dörfchen Denndorf wo er einen großen Chor, eine Blasmusik und
Tanzgruppen gründete. Ihm wurde dann für diese kulturelle Tätigkeit die
„Medalia muncii“ der Großen Nationalversammlung verliehen.
Von 1954 bis 1959 studierte er in Bukarest
Germanistik und Rumänistik. Nach dem Studium debütierte er mit Gedichten und Rezensionen in der
Tageszeitung „Neuer Weg“ in Bukarest, wo er auch als Redakteur,
Herausgeber und Übersetzer bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ bis 1969 tätig
war. Er brachte die erste Ausgabe des siebenbürgischen Volksdichters
Michael Albert nach 1944 heraus, ebenso Bände deutschsprachiger Dichter wie Rilke,
Schiller, und anderer deutscher und österreichischer Autoren. Vor allem übersetzte
er junge rumänische Autoren und brachte Anthologien heraus.
Er überwand den damals diktierten
„sozialistischen Realismus“, indem er sich als Literaturkritiker und
-historiker und in seinen Gedichten des
Stils der Moderne bediente und das „Versteckspiel in der Metapher“ als Ästhetik und
Theorie für sich erarbeitete, damit brisante Inhalte trotz Zensur zum Leser
kommen konnten.
Als Redakteur bemühte er sich, einerseits
gegen die marxistische Ästhetik mit ihrem primitiven Realismus und andererseits
auch gegen die Heile-Welt-Idylle seiner siebenbürgischen Landsleute anzukämpfen,
den Stil der Moderne als wichtigstes Angebot zu übernehmen und in die rumäniendeutsche
Nachkriegslyrik einzuführen. Er versuchte, auch die jüngeren Lyriker an dieses Denken
und Schreiben heranzuführen. Damit kam er nicht nur mit der staatlichen Zensur und
der Chefredaktion sondern auch mit den sächsischen Traditionalisten in
Konflikt. Und er begab sich in große Gefahr, konnten ihm doch die Kontakte zum
Westen als Hochverrat angelastete werden, worauf die Todesstrafe im
kommunistischen Rumänien stand. So war er „eingesperrt…zwischen Vaterland und
Muttersprache“ (DS), nur noch im „Bodenlosen … beheimatet“ (DS), lebte also auf einer
gefährlichen Grenze.
Sein erster eigener Gedichtband trägt
bezeichnenderweise den Titel: „Grenzstreifen“. Darin heißt es:
AUF DER GRENZE GEHEN IST VERDÄCHTIG
(…)
Ich weiß:
jede Nacht ist ein Verbrechen,
jedes Herz ein Überläufer,
und der Tod ist mein Freund,
vor dem ihr, missmutig zwar, doch endlich
den Hut zieht.
In dieser Zeit schloss er auch
Freundschaft mit den jüdischen Dichtern Alfred Kittner und Alfred Margul- Sperber und kam
dadurch mit deren Freund Paul Celan in Kontakt. Durch eine intensive Beschäftigung mit
dessen Werk und Person und auch mit dem
Hebräischen und der Kabbalah gewann sein Werk Tiefenschärfe.
1962 heiratete er Magdalena
Constantinescu, eine rumänische Poetin. 1970 wurde ihr Sohn Michael geboren.
Immer sehnte er sich nach Deutschland,
denn er las, schrieb ja Deutsch, fühlte sich der deutschen Literatur zugehörig. 1969 vollzog er den
„Weltwechsel“, kehrte nach einer Dienstreise in die Bundesrepublik nicht mehr nach Hause zurück.
Er war nach der ersten Westreise 1968 zuerst wieder nach Rumänien zurückgekommen,
doch Ende 1969 mit vielen Traumen erneut dienstlich in den Westen gereist und
dann geblieben. In seinem ersten Westbuch „Visa“ beschrieb er diese
traumatische Situation.
Beim ersten Aufenthalt hatte er auch seine
spätere Frau, die Übersetzerin Linde Birk kennen gelernt.
In der BRD konnte er nach anfänglichen Jubel-und
Freiheitsempfindungen aber auch dem Schock, als Sinn-
und Sinnenverlust, auch nicht ertragen,
dass so viele Nazis in Deutschland ein unbehelligtes Leben führten. So ging er
erneut ins Exil, übersiedelte 1973 nach Italien; er hatte nun 3 Heimaten
mit 3 Sprachen und nannte sich fortan einen Zwischenschaftler. Er
lebte so im Bodenlosen, die deutsche Sprache war seine einzige wirkliche Heimat.
Das Trauma des Exils ist jedoch
Erkenntnismittel und Antriebsfeder seines Schaffens gewesen und immer
geblieben.
„Vaterlandstage und die
Kunst des Verschwindens“, sein erster großer
Roman, erschien 1986. Die Darstellung des geschichtlichen Todes der Siebenbürger Sachsen ist
auch für das bedrohte Schicksal der Welt heute wie zum Symbol geworden.
Die Naziverstrickungen des eigenen Volkes,
denen der Autor nach eigener Aussage vielleicht nur durch die späte Geburt entging, ist auch
das Thema des Dokumentar-Romans „Capesius, der Auschwitzapotheker.“ Der Apotheker Capesius, der in der
Geburtsstadt des Autors mit seiner halbjüdischen Frau die „Kronen-Apotheke“
besaß, war mit den Eltern des Autors befreundet. Er verwaltete das Cyclon B in
der KZ-Apotheke und schickte alle, die nicht zum Arbeiten eingesetzt werden
konnten,Alte, Kranke, Mütter mit ihren Kindern ins
Gas. Von einem ehemaligen Häftling in Deutschland wiedererkannt, saß er seine 9
Jahre Haft ab und verbrachte danach einen ruhigen Lebensabend in Wohlstand. Nur
ein Poet wie Dieter Schlesak kann das Unsagbare, das in Auschwitz
geschah,erfassen, (Georg Aescht). Dieses Buch ist inzwischen u.a. ins
Amerikanische, Rumänische, Italienische, Holländische, Spanische,
Portugisische, Ungarische, Polnische und Hebräische übersetzt worden.
Mit dem neuesten Roman „Transsylwahnien“
vervollständigte Schlesak die Bücher „Vaterlandstage und die Kunst des
Verschwindens“, und „Capesius, der Auschwitzapotheker“ zu einer Trilogie.
In den Jahren 1989 bis 1992 entstanden
Gedichtsmeditationen, die in die drei Kunst-Prachtbände der Dokumentation
„Michelangelos neues Licht“ aufgenommen wurden.
2010 nahm Dieter Schlesak Einsicht in
seine Securitate-Akte in Bukarest. Die Realität, die er dort zur Kenntnis
nehmen musste, traf ihn zutiefst und schmerzlich, nämlich, dass alle Freunde
der Bukarester Zeit ihn bespitzelt hatten. Daraus entstand das Buch „Die Hölle
des Verrats; Der rumänische
Geheimdienst, Augenzeugenberichte, Dokumente, eigene Erfahrungen“, 2012. Es
wurde allerdings von Dieter Schlesak noch nicht veröffentlicht.
Weitere Romane und zahlreiche Essaybände entstanden.
Doch in erster Linie ist Dieter Schlesak
Lyriker. Viele Gedichtbände sind im Laufe seines langen Lebens entstanden.
Und ganz besonders auf diesem Gebiet zeigt
sich auch seine Vermittler-Rolle, in Übersetzungen und Herausgaben moderner
rumänischer und siebenbürgischer Lyrik.
Gefährliche Serpentinen(1989), und
Transilvania mon amour, (2009 zus. mit Cosmin Dragoste). Er übersetzte die 11 Elegien
des großen rumänischen Lyrikers Nichita Stanescu. Und in Zusammenarbeit mit einer Gruppe
italienischer Lyriker wurden seine Gedichte ins Italienische übertragen: Settanta volte sete, Siebzig mal Durst, und italienische Gedicht ins Deutsche: Grenzenlos
Oltrelimite (2006).
Und in Zusammenarbeit
mit der italienischen Lyrikerin Vivetta Valacca: La Luce del anima. Zeit Los brennt dieses Licht
hier (2011).
Seine Vermittler-Tätigkeit spiegelt sich
auch in der Gründung von Kulturvereinigungen in Rapallo, Italien, die Asosciatia Culturala
„Dieter Schlesak“ und in Schäßburg, Rumänien durch die Asociata Culturala „Dieter
Schlesak“ wider.
Für sein Gesamtwerk wurde ihm 2005 der Ehrendoktor der Universität Bukarest verliehen.
Mit einem Zitat von Lerke von Saalfeld
anlässlich der Verleihung des Maria-Ensle-Preises 2007 möchte ich meine Gratulation zum 80.
Geburtstag beschließen: „Dieter Schlesak ist ein ungeheuer vielseitiger Poet und
Schriftsteller, ein poeta doctus. Er schreibt, wie von Furien getrieben, um das
Leben, den Tod, die Liebe, die Welt im Großen und im Kleinen zu erfassen. Er lässt sich treiben, und
er wird getrieben. Er ist neugierig, skeptisch, voller Zweifel und voller Enthusiasmus – dabei
immer auf Entdeckungsreisen. Der einzig feste Halt sind die Wörter, ist die Sprache, die er mit
virtuoser Kunstfertigkeit und mit höchster Sorgfalt, geradezu liebevoll
oder libidinös in Szene setzt, sei es in
der Prosa, sei es im Gedicht.“
Elisabeth Krause
Gastbeitrag
von Elisabeth Krause (Berlin).
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