1.5. „Les Rêveries du promeneur solitaire“[8] - Träumereien eines einsamen Spaziergängers.
In der letzten Phase seines unruhigen Wanderlebens, das ihn, einer Einladung Humes folgend, bis nach England führen wird, zieht sich Rousseau auf die Insel St. Peter im Bieler See zurück. Dort widmet er sich seinem Alterswerk, genauer der Ausarbeitung der autobiographischen „Confessions“, also einer selbstkritischen Lebensbeschreibung, in welcher er, mutig und unverblümt, viel mehr Intimes und Tabuverdächtiges preisgibt, als Leser und Gesellschaft erfahren wollen.
Ferner schreibt der Einsame auf der Insel im See an dem unvollendet gebliebenen Werk Les Rêveries du promeneur solitaire - Träumereien eines einsamen Spaziergängers, das erst nach seinem Tod veröffentlicht werden sollte.
Diese Träumereien, die zwischen 1776 und 1778 während der zahlreichen Waldspaziergänge entstehen, sollen keine systematische Abhandlung ergeben. Sondern sie sind, wie die späteren Herausgeber betonen werden, eine Art Appendix zu den „Confessions“, Fragmente, spontan niedergeschriebene, stilistisch weniger anspruchsvolle Gedanken, Aphorismen, kurze Essays, in deren Mittelpunkt das Motiv Einsamkeit steht – wie so oft bei Rousseau als großes Thema[9] mit Variationen ... Allein auf der Welt, ohne Bruder, ohne Freund, verlassen von allen, allein, fremd, isoliert...diffamiert. Eine Fundgrube melancholischer Begriffe im literarischen Lamento …
Pathetische Stilisierungen dieser Art sind die Regel beim späten, gesundheitlich angeschlagenen und zeitweise paranoiden Rousseau. Einsam ist bei Rousseau ein häufig anzutreffendes Schlüsselwort und die Einsamkeit, eine Grundgestimmtheit, die praktisch das gesamte Werk durchzieht, ist, in allen möglichen Nuancen und Spiegelungen ein Hauptmotiv Rousseaus. Manche Forscher erkennen darin das Motiv schlechthin.[10]
Auch im Spätwerk sind es die früher schon artikulierten Meditationen und Reflexionen eines auf sich selbst gestellten Individuums, das über sein Verhältnis zur Welt, zu Gott und der Natur, nachsinnt.[11] Das Bei-sich-selbst-Sein des Mark Aurel, das über Montaigne zu Rousseau führt und bei Heidegger die wesenhafte Existenz, das Leben in der Eigentlichkeit darstellt, klingt hier wieder an. Tief ist es gefühlt: Rousseau, dessen Weltanschauung durch das tiefgründige Erleben der Einsamkeit bestimmt wird, bleibt - wie die lange Reihe seiner Vorgänger von Seneca über Petrarca und Montaigne - im Grunde ein Stoiker und Epikureer. In seinem Zurück zur Natur preist er das unmittelbare Leben in der Abgeschiedenheit. Nur dort lebt der Mensch in Einklang mit dem Selbst.
Das Leben in der Gesellschaft hingegen führt zur Selbstentfremdung und Selbstverleugnung. Dieses in vielen Nuancen wiederkehrende Grundgefühl bleibt während seines gesamten Lebens konstant. Gesellschaftsbestimmtes Dasein ist ein Sein in der Uneigentlichkeit – Wie betont: Der von Geburt aus gute Mensch wird erst durch die Einwirkungen der Gesellschaft böse.
Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.
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Inhalt des Buches:
Carl Gibson
Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche
Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen.
Carl Gibson
Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche
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Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen.
Carl Gibson
Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche
Motivik europäischer Geistesgeschichte und anthropologische Phänomenbeschreibung – Existenzmodell „Einsamkeit“ als „conditio sine qua non“ geistig-künstlerischen Schaffens
Mit Beiträgen zu:
Epikur, Cicero, Augustinus, Petrarca, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Ficino, Pico della Mirandola, Lorenzo de’ Medici, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Savonarola, Robert Burton, Montaigne, Jean-Jacques Rousseau, Chamfort, J. G. Zimmermann, Kant, Jaspers und Heidegger,
dargestellt in Aufsätzen, Interpretationen und wissenschaftlichen Essays
1. Auflage, Juli 2015
Copyright © Carl Gibson 2015
Bad Mergentheim
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-00-049939-5
Aus der Reihe:
Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte
und Kritisches zum Zeitgeschehen. Bd. 2, 2015
Herausgegeben vom
Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim
Bestellungen direkt beim Autor Carl Gibson,
Email: carlgibsongermany@gmail.com
- oder regulär über den Buchhandel.
„Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit!“ – Das verkündet Friedrich Nietzsche in seinem „Zarathustra“ als einer der Einsamsten überhaupt aus der langen Reihe illustrer Melancholiker seit der Antike. Einsamkeit – Segen oder Fluch?
Nach Aristoteles, Thomas von Aquin und Savonarola ist das „zoon politikon“ Mensch nicht für ein Leben in Einsamkeit bestimmt – nur Gott oder der Teufel könnten in Einsamkeit existieren. Andere Koryphäen und Apologeten des Lebens in Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit werden in der Einsamkeit die Schaffensbedingung des schöpferischen Menschen schlechthin erkennen, Dichter, Maler, Komponisten, selbst Staatsmänner und Monarchen wie Friedrich der Große oder Erz-Melancholiker Ludwig II. von Bayern – Sie alle werden das einsame Leben als Form der Selbstbestimmung und Freiheit in den Himmel heben, nicht anders als seinerzeit die Renaissance-Genies Michelangelo und Leonardo da Vinci.
Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit, postuliert der Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, das Massen-Dasein genauso ablehnend wie mancher solitäre Denker in zwei Jahrtausenden, beginnend mit Vorsokratikern wie Empedokles oder Demokrit bis hin zu Martin Heidegger, der das Sein in der Uneigentlichkeit als eine dem modernen Menschen nicht angemessene Lebensform geißelt. Ovid und Seneca verfassten große Werke der Weltliteratur isoliert in der Verbannung. Petrarca lebte viele Jahre seiner Schaffenszeit einsam bei Avignon in der Provence. Selbst Montaigne verschwand für zehn Jahre in seinem Turm, um, lange nach dem stoischen Weltenlenker Mark Aurel, zum Selbst zu gelangen und aus frei gewählter Einsamkeit heraus zu wirken.
Weshalb zog es geniale Menschen in die Einsamkeit? Waren alle Genies Melancholiker? Wer ist zur Melancholie gestimmt, disponiert? Was bedingt ein Leben in Einsamkeit überhaupt? Welche Typen bringt die Einsamkeit hervor? Was treibt uns in die neue Einsamkeit? Weshalb leben wir heute in einer anonymen Single-Gesellschaft? Wer entscheidet über ein leidvolles Los im unfreiwilligen Alleinsein, in Vereinsamung und Depression oder über ein erfülltes, glückliches Dasein in trauter Zweisamkeit? Das sind existenzbestimmende Fragen, die über unser alltägliches Wohl und Wehe entscheiden. Große Geister, Dichter, Philosophen von Rang, haben darauf geantwortet – richtungweisend für Gleichgesinnte in ähnlicher Existenzlage, aber auch gültig für den Normalsterblichen, der in verfahrener Situation nach Lösungen und Auswegen sucht. Dieses Buch zielt auf das Verstehen der anthropologischen Phänomene und Grunderfahrungen Einsamkeit, Vereinsamung, Melancholie und Acedia im hermeneutischen Prozess als Voraussetzung ihrer Bewältigung. Erkenntnisse einer langen Phänomen-Geschichte können so von unmittelbar Betroffenen existentiell umgesetzt werden und auch in die „Therapie“ einfließen.
Carl Gibson, Praktizierender Philosoph, Literaturwissenschaftler, Zeitkritiker, zwölf Buchveröffentlichungen. Hauptwerke: Lenau. Leben – Werk – Wirkung. Heidelberg 1989, Symphonie der Freiheit, 2008, Allein in der Revolte, 2013, Die Zeit der Chamäleons, 2014.
ISBN: 978-3-00-049939-5
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