Annette von Droste-Hülshoff
(1797-1848)
Die Jagd
Die Luft hat schlafen sich
gelegt,
Behaglich in das Moos
gestreckt,
Kein Rispeln, das die Kräuter
regt,
Kein Seufzer, der die Halme
weckt.
Nur eine Wolke träumt
mitunter
Am blassen Horizont hinunter,
Dort, wo das Tannicht überm
Wall
Die dunkeln Kandelabern
streckt.
Da horch, ein Ruf, ein ferner
Schall:
»Hallo! hoho!« so lang
gezogen,
Man meint, die Klänge
schlagen Wogen
Im Ginsterfeld, und wieder
dort:
»Hallo! hoho!« - am Dickicht
fort
Ein zögernd Echo, - alles
still!
Man hört der Fliege
Angstgeschrill
Im Mettennetz, den Fall der
Beere,
Man hört im Kraut des Käfers
Gang,
Und dann wie ziehnder
Kranichheere
Kling klang! von ihrer
luft'gen Fähre,
Wie ferner Unkenruf: Kling!
klang!
Ein Läuten das Gewäld entlang
-
Hui schlüpft der Fuchs den
Wall hinab -
Er gleitet durch die
Binsenspeere,
Und zuckelt fürder seinen
Trab:
Und aus dem Dickicht, weiß
wie Flocken,
Nach stäuben die lebend'gen
Glocken,
Radschlagend an des Dammes
Hang;
Wie Aale schnellen sie vom Grund,
Und weiter, weiter, Fuchs und
Hund. -
Der schwankende Wacholder
flüstert,
Die Binse rauscht, die Heide
knistert,
Und stäubt Phalänen um die
Meute.
Sie jappen, klaffen nach der
Beute,
Schaumflocken sprühn aus Nas'
und Mund;
Noch hat der Fuchs die rechte
Weite,
Gelassen trabt er, schleppt
den Schweif,
Zieht in dem Taue dunklen
Streif,
Und zeigt verächtlich seine
Socken.
Doch bald hebt er die Lunte
frisch,
Und, wie im Weiher schnellt
der Fisch,
Fort setzt er über Kraut und
Schmelen,
Wirft mit den Läufen Kies und
Staub;
Die Meute mit geschwollnen
Kehlen
Ihm nach, wie rasselnd
Winterlaub.
Man höret ihre Kiefern
knacken,
Wenn fletschend in die Luft
sie hacken;
In weitem Kreise so zum Tann,
Und wieder aus dem Dickicht
dann
Ertönt das Glockenspiel der
Bracken.
Was bricht dort im Gestrüppe
am Revier?
Im holprichten Galopp stampft
es den Grund;
Ha! brüllend Herdenvieh!
voran der Stier,
Und ihnen nach klafft ein
versprengter Hund.
Schwerfällig poltern sie das
Feld entlang,
Das Horn gesenkt, waagrecht
des Schweifes Strang,
Und taumeln noch ein paarmal
in die Runde,
Eh Posto wird gefaßt im
Heidegrunde.
Nun endlich stehn sie, murren
noch zurück,
Das Dickicht messend mit
verglastem Blick,
Dann sinkt das Haupt und
unter ihrem Zahne
Ein leises Rupfen knirrt im Thymiane;
Unwillig schnauben sie den
gelben Rauch,
Das Euter streifend am
Wacholderstrauch,
Und peitschen mit dem
Schweife in die Wolke
Von summendem Gewürm und
Fliegenvolke.
So, langsam schüttelnd den
gefüllten Bauch
Fort grasen sie bis zu dem
Heidekolke.
Ein Schuß: »Hallo!« - ein
zweiter Schuß: »Hoho!«
Die Herde stutzt, des Kolkes
Spiegel kraust
Ihr Blasen, dann die Hälse
streckend, so
Wie in des Dammes Mönch der
Strudel saust,
Ziehn sie das Wasser in den
Schlund, sie pusten,
Die kranke Sterke schaukelt träg
herbei,
Sie schaudert, schüttelt sich
in hohlem Husten,
Und dann - ein Schuß, und
dann - ein Jubelschrei!
Das grüne Käppchen auf dem
Ohr,
Den halben Mond am Lederband,
Trabt aus der Lichtung rasch
hervor
Bis mitten in das Heideland
Ein Weidmann ohne Tasch' und
Büchse;
Er schwenkt das Horn, er
ballt die Hand,
Dann setzt er an, und tausend
Füchse
Sind nicht so kräftig
totgeblasen,
Als heut es schmettert übern
Rasen.
»Der Schelm ist tot, der
Schelm ist tot!
Laßt uns den Schelm begraben!
Kriegen ihn die Hunde nicht,
Dann fressen ihn die Raben,
Hoho hallo!«
Da stürmt von allen Seiten es
heran,
Die Bracken brechen aus
Genist und Tann;
Durch das Gelände sieht in
wüsten Reifen
Man johlend sie um den
Hornisten schweifen.
Sie ziehen ihr Geheul so hohl
und lang,
Daß es verdunkelt der Fanfare
Klang,
Doch lauter, lauter schallt
die Gloria,
Braust durch den Ginster die
Viktoria:
»Hängt den Schelm, hängt den
Schelm!
Hängt ihn an die Weide,
Mir den Balg und dir den
Talg,
Dann lachen wir alle beide;
Hängt ihn! Hängt ihn
Die Mergelgrube
Stoß deinen Scheit drei
Spannen in den Sand,
Gesteine siehst du aus dem
Schnitte ragen,
Blau, gelb, zinnoberrot, als
ob zur Gant
Natur die Trödelbude
aufgeschlagen.
Kein Pardelfell war je so
bunt gefleckt,
Kein Rebhuhn, keine Wachtel
so gescheckt,
Als das Gerölle, gleißend wie
vom Schliff
Sich aus der Scholle bröckelt
bei dem Griff
Der Hand, dem Scharren mit
des Fußes Spitze.
Wie zürnend sturt dich an der
schwarze Gneis,
Spatkugeln kollern nieder,
milchig weiß,
Und um den Glimmer fahren
Silberblitze;
Gesprenkelte Porphyre, groß
und klein,
Die Ockerdruse und der
Feuerstein -
Nur wenige hat dieser Grund
gezeugt,
Der sah den Strand, und der
des Berges Kuppe;
Die zorn'ge Welle hat sie hergescheucht,
Leviathan mit seiner
Riesenschuppe,
Als schäumend übern Sinai er
fuhr,
Des Himmels Schleusen dreißig
Tage offen,
Gebirge schmolzen ein wie
Zuckerkand,
Als dann am Ararat die Arche
stand,
Und eine fremde, üppige
Natur,
Ein neues Leben quoll aus
neuen Stoffen. -
Findlinge nennt man sie, weil
von der Brust,
Der mütterlichen, sie
gerissen sind,
In fremde Wiege, schlummernd
unbewußt,
Die fremde Hand sie legt'
wie's Findelkind.
O welch' ein Waisenhaus ist
diese Heide,
Die Mohren, Blaßgesicht, und
rote Haut
Gleichförmig hüllet mit dem
braunen Kleide!
Wie endlos ihre Zellenreihn
gebaut!
Tief ins Gebröckel, in die
Mergelgrube
War ich gestiegen, denn der
Wind zog scharf;
Dort saß ich seitwärts in der
Höhlenstube,
Und horchte träumend auf der
Luft Geharf.
Es waren Klänge, wie wenn
Geisterhall
Melodisch schwinde im
zerstörten All;
Und dann ein Zischen, wie von
Moores Klaffen,
Wenn brodelnd es in sich
zusamm'gesunken;
Mir überm Haupt ein Rispeln
und ein Schaffen,
Als scharre in der Asche man
den Funken.
Findlinge zog ich Stück auf
Stück hervor
Und lauschte, lauschte mit
berauschtem Ohr.
Vor mir, um mich der graue
Mergel nur,
Was drüber, sah ich nicht;
doch die Natur
Schien mir verödet, und ein
Bild erstand
Von einer Erde, mürbe,
ausgebrannt;
Ich selber schien ein Funken
mir, der doch
Erzittert in der toten Asche
noch,
Ein Findling im zerfallnen
Weltenbau.
Die Wolke teilte sich, der
Wind ward lau;
Mein Haupt nicht wagt' ich
aus dem Hohl zu strecken,
Um nicht zu schauen der
Verödung Schrecken,
Wie Neues quoll und Altes
sich zersetzte -
War ich der erste Mensch oder
der letzte?
Ha, auf der Schieferplatte
hier Medusen -
Noch schienen ihre Strahlen
sie zu zücken,
Als sie geschleudert von des
Meeres Busen,
Und das Gebirge sank, sie zu
zerdrücken.
Es ist gewiß, die alte Welt
ist hin,
Ich Petrefakt, ein
Mammutsknochen drin!
Und müde, müde sank ich an
den Rand
Der staub'gen Gruft; da
rieselte der Grand
Auf Haar und Kleider mir, ich
ward so grau
Wie eine Leich' im
Katakomben-Bau,
Und mir zu Füßen hört' ich leises
Knirren,
Ein Rütteln, ein Gebröckel
und ein Schwirren.
Es war der Totenkäfer, der im
Sarg
So eben eine frische Leiche
barg;
Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor
gestellt
Zeigt eine Wespe mir von
dieser Welt.
Und anders ward mein Träumen
nun gewandet,
Zu einer Mumie ward ich
versandet,
Mein Linnen Staub, fahlgrau
mein Angesicht,
Und auch der Skarabäus fehlte
nicht.
Wie, Leichen über mir? - so
eben gar
Rollt mir ein Byssusknäuel in
den Schoß;
Nein, das ist Wolle, ehrlich
Lämmerhaar -
Und plötzlich ließen mich die
Träume los.
Ich gähnte, dehnte mich, fuhr
aus dem Hohl,
Am Himmel stand der rote
Sonnenball
Getrübt von Dunst, ein glüher
Karneol,
Und Schafe weideten am
Heidewall.
Dicht über mir sah ich den
Hirten sitzen,
Er schlingt den Faden und die
Nadeln blitzen,
Wie er bedächtig seinen
Socken strickt.
Zu mir hinunter hat er nicht
geblickt.
»Ave Maria« hebt er an zu
pfeifen,
So sacht und schläfrig, wie
die Lüfte streifen,
Er schaut so seelengleich die
Herde an,
Daß man nicht weiß, ob Schaf
er oder Mann.
Ein Räuspern dann, und
langsam aus der Kehle
Schiebt den Gesang er in das
Garngesträhle:
»Es stehet ein Fischlein in
einem tiefen See,
Danach tu ich wohl schauen,
ob es kommt in die Höh';
Wandl' ich über Grunheide bis
an den kühlen Rhein,
Alle meine Gedanken bei
meinem Feinsliebchen sein.
Gleich wie der Mond ins
Wasser schaut hinein,
Und gleich wie die Sonne im
Wald gibt güldenen Schein,
Also sich verborgen bei mir
die Liebe findt,
Alle meine Gedanken, sie sind
bei dir, mein Kind.
Wer da hat gesagt, ich wollte
wandern fort,
Der hat sein Feinsliebchen an
einem andern Ort;
Trau nicht den falschen
Zungen, was sie dir blasen ein,
Alle meine Gedanken, sie sind
bei dir allein.«
Ich war hinaufgeklommen,
stand am Bord,
Dicht vor dem Schäfer,
reichte ihm den Knäuel;
Er steckt' ihn an den Hut,
und strickte fort,
Sein weißer Kittel zuckte wie
ein Weihel.
Im Moose lag ein Buch; ich
hob es auf -
»Bertuchs Naturgeschichte;
lest ihr das?«
Da zog ein Lächeln seine
Lippen auf:
»Der lügt mal, Herr! doch das
ist just der Spaß!
Von Schlangen, Bären, die in
Stein verwandelt,
Als, wie Genesis sagt, die
Schleusen offen;
Wär's nicht zur Kurzweil,
wär' es schlecht gehandelt:
Man weiß ja doch, daß alles
Vieh versoffen.«
Ich reichte ihm die
Schieferplatte: »Schau,
Das war ein Tier.« Da
zwinkert' er die Brau
Und hat mir lange pfiffig
nachgelacht -
Daß ich verrückt sei, hätt'
er nicht gedacht! –
Die Krähen
Heiß, heiß der Sonnenbrand
Drückt vom Zenit herunter,
Weit, weit der gelbe Sand
Zieht sein Gestäube drunter;
Nur wie ein grüner Strich
Am Horizont die Föhren;
Mich dünkt, man müßt' es
hören,
Wenn nur ein Kanker schlich.
Der blasse Äther siecht,
Ein Ruhen rings, ein
Schweigen,
Dem matt das Ohr erliegt;
Nur an der Düne steigen
Zwei Fichten dürr, ergraut,
Wie Trauernde am Grabe,
Wo einsam sich ein Rabe
Die rupp'gen Federn kraut.
Da zieht's in Westen schwer
Wie eine Wetterwolke,
Kreist um die Föhren her
Und fällt am Heidekolke;
Und wieder steigt es dann,
Es flattert und es ächzet,
Und immer näher krächzet
Das Galgenvolk heran.
Recht, wo der Sand sich
dämmt,
Da lagert es am Hügel;
Es badet sich und schwemmt,
Stäubt Asche durch die Flügel
Bis jede Feder grau;
Dann rasten sie im Bade,
Und horchen der Suade
Der alten Krähenfrau,
Die sich im Sande reckt,
Das Bein lang ausgeschossen,
Ihr eines Aug' gefleckt,
Das andre ist geschlossen;
Zweihundert Jahr und mehr
Gehetzt mit allen Hunden,
Schnarrt sie nun ihre Kunden
Dem jungen Volke her:
»Ja, ritterlich und kühn all
sein Gebar!
Wenn er so herstolzierte vor
der Schar,
Und ließ sein bäumend Roß so
drehn und schwenken,
Da mußt' ich immer an Sankt
Görgen denken,
Den Wettermann, der - als am
Schlot ich saß,
Ließ mir die Sonne auf den
Rücken brennen -
Vom Wind getrillt mich schlug
so hart, daß baß
Ich es dem alten Raben möchte
gönnen,
Der dort von seiner
Hopfenstange schaut,
Als sei ein Baum er und wir
andern Kraut! -
»Kühn war der Halberstadt,
das ist gewiß!
Wenn er die Braue zog, die
Lippe biß,
Dann standen seine
Landsknecht' auf den Füßen
Wie Speere, solche Blicke
konnt' er schießen.
Einst brach sein Schwert: er
riß die Kuppel los,
Stieß mit der Scheide einen
Mann vom Pferde.
Ich war nur immer froh, daß
flügellos,
Ganz sonder Witz der Mensch
geboren werde:
Denn nie hab' ich gesehn, daß
aus der Schlacht
Er eine Leber nur beiseit'
gebracht.
»An einem Sommertag, - heut
sind es grad
Zweihundertfünfzehn Jahr, es
lief die Schnat
Am Damme drüben damals bei
den Föhren -
Da konnte man ein frisch
Drommeten hören,
Ein Schwerterklirren und ein
Feldgeschrei,
Radschlagen sah man Reuter
von den Rossen,
Und die Kanone fuhr ihr Hirn
zu Brei!
Entlang die Gleise ist das
Blut geflossen,
Granat und Wachtel liefen
kunterbunt
Wie junge Kiebitze am
sand'gen Grund.
»Ich saß auf einem Galgen, wo
das Bruch
Man überschauen konnte recht
mit Fug;
Dort an der Schnat hat
Halberstadt gestanden,
Mit seinem Sehrohr streifend
durch die Banden,
Hat seinen Stab geschwungen
so und so;
Und wie er schwenkte, zogen
die Soldaten -
Da plötzlich aus den Mörsern
fuhr die Loh',
Es knallte, daß ich bin zu
Fall geraten,
Und als kopfüber ich vom
Galgen schoß,
Da pfiff der Halberstadt
davon zu Roß.
»Mir stieg der Rauch in Ohr
und Kehl', ich schwang
Mich auf, und nach der Qualm
in Strömen drang;
Entlang die Heide fuhr ich
mit Gekrächze.
Am Grunde, welch Geschrei,
Geschnaub', Geächze!
Die Rosse wälzten sich und
zappelten,
Todwunde zuckten auf,
Landsknecht' und Reuter
Knirschten den Sand, da näher
trappelten
Schwadronen, manche krochen
winselnd weiter,
Und mancher hat noch einen
Stich versucht,
Als über ihn der Bayer
weggeflucht.
»Noch lange haben sie getobt,
geknallt,
Ich hatte mich geflüchtet in
den Wald;
Doch als die Sonne färbt' der
Föhren Spalten,
Ha, welch ein köstlich Mahl
ward da gehalten!
Kein Geier schmaust', kein
Weihe je so reich!
In achtzehn Schwärmen fuhren
wir herunter,
Das gab ein Hacken, Picken,
Leich' auf Leich' -
Allein der Halberstadt war
nicht darunter:
Nicht kam er heut, noch sonst
mir zu Gesicht,
Wer ihn gefressen hat, ich
weiß es nicht.«
Sie zuckt die Klaue, kraut
den Schopf,
Und streckt behaglich sich im
Bade;
Da streckt ein grauer Herr
den Kopf,
Weit älter, als die
Scheh'razade.
»Ha,« krächzt er, »das war
wüste Zeit, -
Da gab's nicht Frauen, wie
vor Jahren,
Als Ritter mit dem Kreuz
gefahren,
Und man die Münster hat
geweiht!«
Er hustet, speit ein wenig
Sand und Ton,
Dann hebt er an, ein grauer
Seladon:
»Und wenn er kühn, so war sie
schön,
Die heil'ge Frau im
Ordenskleide!
Ihr mocht' der Weihel süßer
stehn,
Als andern Güldenstück und
Seide.
Kaum war sie holder an dem
Tag,
Da ihr jungfräulich Haar man
fällte,
Als ich ans Kirchenfenster
schnellte,
Und schier Tobias' Hündlein
brach.
»Da stand die alte Gräfin,
stand
Der alte Graf, geduldig
harrend;
Er aufs Barettlein in der
Hand,
Sie fest aufs Paternoster
starrend;
Ehrbar, wie bronzen sein
Gesicht -
Und aus der Mutter Wimpern
glitten
Zwei Tränen auf der Schaube
Mitten,
Doch ihre Lippe zuckte nicht.
»Und sie in ihrem
Sammetkleid,
Von Perlen und Juwel'
umfunkelt,
Bleich war sie, aber nicht
von Leid,
Ihr Blick, doch nicht von
Gram, umdunkelt.
So mild hat sie das Haupt
gebeugt,
Als woll' auf den Altar sie
legen
Des Haares königlichen Segen,
Vom Antlitz ging ein süß
Geleucht.
»Doch als nun, wie am
Blutgerüst,
Ein Mann die Seidenstränge
packte,
Da faßte mich ein wild
Gelüst,
Ich schlug die Scheiben, daß
es knackte,
Und flattert' fort, als ob
der Stahl
Nach meinem Nacken wolle
zücken -
Ja wahrlich, über Kopf und
Rücken
Fühlt' ich den ganzen Tag
mich kahl!
»Und später sah ich manche
Stund
Sie betend durch den
Kreuzgang schreiten,
Ihr süßes Auge übern Grund
Entlang die Totenlager
gleiten;
Ins Quadrum flog ich dann
herab,
Spazierte auf dem
Leichensteine,
Sang, oder suchte auch zum
Scheine
Nach einem Regenwurm am Grab.
»Wie sie gestorben, weiß ich
nicht;
Die Fenster hatte man
verhangen,
Ich sah am Vorhang nur das
Licht
Und hörte, wie die Schwestern
sangen;
Auch hat man keinen Stein
geschafft
Ins Quadrum, doch ich hörte
sagen,
Daß manchem Kranken Heil
getragen
Der sel'gen Frauen
Wunderkraft.
»Ein Loch gibt es am
Kirchenend',
Da kann man ins Gewölbe
schauen,
Wo matt die ew'ge Lampe
brennt,
Steinsärge ragen, fein
gehauen;
Da streck' ich oft im
Dämmergrau
Den Kopf durchs Gitter,
klage, klage
Die Schlafende im Sarkophage,
So hold, wie keine
Krähenfrau!«
Er schließt die Augen, stößt
ein lang »Krahah!«
Gestreckt die Zunge und den
Schnabel offen;
Matt, flügelhängend, ein
zertrümmert Hoffen,
Ein Bild gebrochnen Herzens
sitzt er da. -
Da schnarrt es über ihm: »Ihr
Narren all!«
Und nieder von der Fichte
plumpt der Rabe:
»Ist einer hier, der hörte
von Walhall,
Von Teut und Thor, und von
dem Hünengrabe?
Saht ihr den Opferstein« - da
mit Gekrächz
Hebt sich die Schar und
klatscht entlang den Hügel.
Der Rabe blinzt, er stößt ein
kurz Geächz,
Die Federn sträubend wie ein
zorn'ger Igel;
Dann duckt er nieder, kraut
das kahle Ohr,
Noch immer schnarrend fort
von Teut und Thor. –
Das Hirtenfeuer
Dunkel, Dunkel im Moor,
Über der Heide Nacht,
Nur das rieselnde Rohr
Neben der Mühle wacht,
Und an des Rades Speichen
Schwellende Tropfen
schleichen.
Unke kauert im Sumpf,
Igel im Grase duckt,
In dem modernden Stumpf
Schlafend die Kröte zuckt,
Und am sandigen Hange
Rollt sich fester die
Schlange.
Was glimmt dort hinterm
Ginster,
Und bildet lichte Scheiben?
Nun wirft es Funkenflinster,
Die löschend niederstäuben;
Nun wieder alles dunkel -
Ich hör' des Stahles Picken,
Ein Knistern, ein Gefunkel,
Und auf die Flammen zücken.
Und Hirtenbuben hocken
Im Kreis' umher, sie strecken
Die Hände, Torfes Brocken
Seh' ich die Lohe lecken;
Da bricht ein starker Knabe
Aus des Gestrüppes Windel,
Und schleifet nach im Trabe
Ein wüst Wacholderbündel.
Er läßt's am Feuer kippen -
Hei, wie die Buben johlen,
Und mit den Fingern schnippen
Die Funken-Girandolen!
Wie ihre Zipfelmützen
Am Ohre lustig flattern,
Und wie die Nadeln spritzen,
Und wie die Äste knattern!
Die Flamme sinkt, sie hocken
Aufs Neu' umher im Kreise,
Und wieder fliegen Brocken,
Und wieder schwehlt es leise;
Glührote Lichter streichen
An Haarbusch und Gesichte,
Und schier Dämonen gleichen
Die kleinen Heidewichte.
Der da, der Unbeschuhte,
Was streckt er in das Dunkel
Den Arm wie eine Rute?
Im Kreise welch Gemunkel?
Sie spähn wie junge Geier
Von ihrer Ginsterschütte:
Hah, noch ein Hirtenfeuer,
Recht an des Dammes Mitte!
Man sieht es eben steigen
Und seine Schimmer breiten,
Den wirren Funkenreigen
Übern Wacholder gleiten;
Die Buben flüstern leise,
Sie räuspern ihre Kehlen,
Und alte Heideweise
Verzittert durch die
Schmehlen.
»Helo, heloe!
Heloe, loe!
Komm du auf unsre Heide,
Wo ich meine Schäflein weide,
Komm, o komm in unser Bruch,
Da gibt's der Blümelein
genug, -
Helo, heloe!«
Die Knaben schweigen,
lauschen nach dem Tann,
Und leise durch den Ginster
zieht's heran:
Gegenstrophe
»Helo, heloe!
Ich sitze auf dem Walle,
Meine Schäflein schlafen
alle,
Komm, o komm in unsern Kamp,
Da wächst das Gras wie Brahm
so lang! -
Helo, heloe!
Heloe, loe!«
Der Heidemann
»Geht, Kinder, nicht zu weit
ins Bruch,
Die Sonne sinkt, schon surrt
den Flug
Die Biene matter,
schlafgehemmt,
Am Grunde schwimmt ein
blasses Tuch,
Der Heidemann kömmt!« -
Die Knaben spielen fort am
Raine,
Sie rupfen Gräser, schnellen
Steine,
Sie plätschern in des Teiches
Rinne,
Erhaschen die Phalän' am Ried
Und freun sich, wenn die
Wasserspinne
Langbeinig in die Binsen
flieht.
»Ihr Kinder, legt euch nicht ins
Gras! -
Seht, wo noch grad' die Biene
saß,
Wie weißer Rauch die Glocken
füllt.
Scheu aus dem Busche glotzt
der Has,
Der Heidemann schwillt!« -
Kaum hebt ihr schweres Haupt
die Schmehle
Noch aus dem Dunst, in seine
Höhle
Schiebt sich der Käfe,r und
am Halme
Die träge Motte höher
kreucht,
Sich flüchtend vor dem
feuchten Qualme,
Der unter ihre Flügel steigt.
»Ihr Kinder, haltet euch bei
Haus!
Lauft ja nicht in das Bruch
hinaus;
Seht, wie bereits der Dorn
ergraut,
Die Drossel ächzt zum Nest
hinaus,
Der Heidemann braut!« -
Man sieht des Hirten Pfeife
glimmen,
Und vor ihm her die Herde
schwimmen,
Wie Proteus seine
Robbenscharen
Heimschwemmt im grauen Ozean.
Am Dach die Schwalben
zwitschernd fahren
Und melancholisch kräht der
Hahn.
»Ihr Kinder, bleibt am Hofe
dicht!
Seht, wie die feuchte
Nebelschicht
Schon an des Pförtchens
Klinke reicht;
Am Grunde schwimmt ein
falsches Licht,
Der Heidemann steigt!« -
Nun strecken nur der Föhren
Wipfel
Noch aus dem Dunste grüne
Gipfel,
Wie übern Schnee Wacholderbüsche;
Ein leises Brodeln quillt im
Moor,
Ein schwaches Schrillen, ein
Gezische
Dringt aus der Niederung
hervor.
»Ihr Kinder kommt, kommt
schnell herein!
Das Irrlicht zündet seinen
Schein,
Die Kröte schwillt, die
Schlang' im Ried;
Jetzt ist's unheimlich
draußen sein,
Der Heidemann zieht!« -
Nun sinkt die letzte Nadel,
rauchend
Zergeht die Fichte, langsam
tauchend
Steigt Nebelschemen aus dem
Moore,
Mit Hünenschritten gleitet's
fort;
Ein irres Leuchten zuckt im
Rohre,
Der Krötenchor beginnt am Bord.
Und plötzlich scheint ein
schwaches Glühen
Des Hünen Glieder zu
durchziehen;
Es siedet auf, es färbt die
Wellen,
Der Nord, der Nord entzündet
sich -
Glutpfeile, Feuerspeere
schnellen,
Der Horizont ein Lavastrich!
»Gott gnad' uns! wie es zuckt
und dräut,
Wie's schwehlet an der
Dünenscheid'!
Ihr Kinder, faltet eure
Händ',
Das bringt uns Pest und teure
Zeit -
Der Heidemann brennt!« -
Der Knabe im Moor
O schaurig ist's übers Moor
zu gehn,
Wenn es wimmelt vom
Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste
drehn
Und die Ranke häkelt am
Strauche,
Unter jedem Tritte ein
Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt
und singt,
O schaurig ist's übers Moor
zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im
Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde
Kind
Und rennt, als ob man es
jage;
Hohl über die Fläche sauset
der Wind -
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische
Gräberknecht,
Der dem Meister die besten
Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein
irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf
hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das
Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und
knittert darin!
Das ist die unselige
Spinnerin,
Das ist die gebannte
Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im
Geröhre!
Voran, voran! nur immer im
Lauf,
Voran, als woll' es ihn
holen;
Vor seinem Fuße brodelt es
auf,
Es pfeift ihm unter den
Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann
ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler
Knauf,
Der den Hochzeitheller
gestohlen!
Da birst das Moor, ein
Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden
Höhle;
Weh, weh, da ruft die
verdammte Margret:
»Ho, ho, meine arme Seele!«
Der Knabe springt wie ein
wundes Reh;
Wär' nicht Schutzengel in
seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen
fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mählich gründet der Boden
sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so
heimatlich,
Der Knabe steht an der
Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor
zurück
Noch immer wirft er den
scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's
fürchterlich,
Am Turme
Ich steh' auf hohem Balkone
am Turm,
Umstrichen vom schreienden
Stare,
Und lass' gleich einer Mänade
den Sturm
Mir wühlen im flatternden
Haare;
O wilder Geselle, o toller
Fant,
Ich möchte dich kräftig
umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei
Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann
ringen!
Und drunten seh' ich am
Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die
Wellen
Sich tummeln rings mit
Geklaff und Gezisch,
Und glänzende Flocken
schnellen.
O, springen möcht' ich hinein
alsbald,
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den
korallenen Wald
Das Walroß, die lustige
Beute!
Und drüben seh ich ein Wimpel
wehn
So keck wie eine Standarte,
Seh auf und nieder den Kiel
sich drehn
Von meiner luftigen Warte;
O, sitzen möcht' ich im
kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen,
Und zischend über das
brandende Riff
Wie eine Seemöve streifen.
Wär' ich ein Jäger auf freier
Flur,
Ein Stück nur von einem
Soldaten,
Wär' ich ein Mann doch
mindestens nur,
So würde der Himmel mir
raten;
Nun muß ich sitzen so fein
und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen
mein Haar,
Und lassen es flattern im
Winde!
Am Bodensee
Über Gelände, matt gedehnt,
Hat Nebelhauch sich wimmelnd
gelegt,
Müde, müde die Luft am
Strande stöhnt,
Wie ein Roß, das den
schlafenden Reiter trägt;
Im Fischerhause kein Lämpchen
brennt,
Im öden Turme kein Heimchen
schrillt
Nur langsam rollend der
Pulsschlag schwillt
In dem zitternden Element.
Ich hör' es wühlen am feuchten
Strand,
Mir unterm Fuße es wühlen
fort,
Die Kiesel knistern, es
rauscht der Sand,
Und Stein an Stein
entbröckelt dem Bord.
An meiner Sohle zerfährt der
Schaum,
Eine Stimme klaget im hohlen
Grund,
Gedämpft, mit
halbgeschlossenem Mund,
Wie des grollenden Wetters
Traum.
Ich beuge mich lauschend am
Turme her,
Sprühregenflitter fährt in
die Höh',
Ha, meine Locke ist feucht
und schwer!
Was treibst du denn,
unruhiger See?
Kann dir der heilige Schlaf
nicht nahn?
Doch nein, du schläfst, ich
seh es genau,
Dein Auge decket die Wimper
grau,
Am Ufer streckt sich der
Kahn.
Hast du so Vieles, so Vieles
erlebt,
Daß dir im Traume es kehren
muß,
Daß deine gleißende Nerv'
erbebt,
Naht ihr am Strand eines
Menschen Fuß?
Dahin, dahin! die einst so
gesund,
So reich und mächtig, so arm
und klein,
Und nur ihr flüchtiger
Spiegelschein
Liegt zerflossen auf deinem
Grund.
Der Ritter, so aus der Burg
hervor
Vom Hange trabte in aller
Früh;
- Jetzt nickt die Esche vom
grauen Tor,
Am Zwinger zeichnet die
Mylady -
Das arme Mütterlein, das
gebleicht
Sein Leichenhemde den Strand
entlang;
Der Kranke, der seinen
letzten Gang
An deinem Borde gekeucht;
Das spielende Kind, das
neckend hier
Sein Schneckenhäuschen
geschleudert hat;
Die glühende Braut, die
lächelnd dir
Von der Ringelblume gab Blatt
um Blatt;
Der Sänger, der mit trunkenem
Aug'
Das Metrum geplätschert in
deiner Flut,
Der Pilger, so am Gestein
geruht,
Sie alle dahin wie Rauch!
Bist du so fromm, alte
Wasserfey,
Hältst nur umschlungen, läßt
nimmer los?
Hat sich aus dem Gebirge die
Treu'
Geflüchtet in deinen heiligen
Schoß?
O, schau mich an! ich zergeh
wie Schaum,
Wenn aus dem Grabe die Distel
quillt,
Dann zuckt mein längst
zerfallenes Bild
Wohl einmal durch deinen
Traum!
Das alte Schloß
Auf der Burg haus' ich am
Berge,
Unter mir der blaue See,
Höre nächtlich Koboldzwerge,
Täglich Adler aus der Höh',
Und die grauen Ahnenbilder
Sind mir Stubenkameraden,
Wappentruh' und Eisenschilder
Sofa mir und Kleiderladen.
Schreit' ich über die
Terrasse
Wie ein Geist am Runenstein,
Sehe unter mir die blasse
Alte Stadt im Mondenschein,
Und am Walle pfeift es
weidlich,
- Sind es Käuze oder Knaben?
-
Ist mir selber oft nicht
deutlich,
Ob ich lebend, ob begraben!
Mir genüber gähnt die Halle,
Grauen Tores, hohl und lang,
Drin mit wunderlichem Schalle
O Langsam dröhnt ein schwerer
Gang;
Mir zur Seite Riegelzüge,
Ha, ich öffne, laß die Lampe
Scheinen auf der Wendelstiege
Lose modergrüne Rampe,
Die mich lockt wie ein
Verhängnis,
Zu dem unbekannten Grund;
Ob ein Brunnen? ob Gefängnis?
Keinem Lebenden ist's kund;
Denn zerfallen sind die
Stufen,
Und der Steinwurf hat nicht
Bahn,
Doch als ich hinab gerufen,
Donnert's fort wie ein Orkan.
Ja, wird mir nicht baldigst
fade
Dieses Schlosses Romantik,
In den Trümmern, ohne Gnade,
Brech' ich Glieder und
Genick;
Denn, wie trotzig sich die
Düne
Mag am flachen Strande heben,
Fühl' ich stark mich wie ein
Hüne,
Von Zerfallendem umgeben.
Mein Beruf
»Was meinem Kreise mich
enttrieb,
Der Kammer friedlichem
Gelasse?«
Das fragt ihr mich, als sei,
ein Dieb,
Ich eingebrochen am Parnasse.
So hört denn, hört, weil ihr
gefragt:
Bei der Geburt bin ich
geladen,
Mein Recht, so weit der
Himmel tagt,
Und meine Macht von Gottes
Gnaden.
Jetzt, wo hervor der tote
Schein
Sich drängt am modervollen
Stumpfe,
Wo sich der schönste
Blumenrain
Wiegt über dem erstorbnen
Sumpfe,
Der Geist, ein blutlos
Meteor,
Entflammt und lischt im
Moorgeschwehle,
Jetzt ruft die Stunde: »Tritt
hervor,
Mann oder Weib, lebend'ge
Seele!
»Tritt zu dem Träumer, den am
Rand
Entschläfert der Datura Odem,
Der, langsam gleitend von der
Wand,
Noch zucket gen den
Zauberbrodem.
Und wo ein Mund zu lächeln
weiß
Im Traum, ein Auge noch zu
weinen,
Da schmettre laut, da flüstre
leis,
Trompetenstoß und West in
Hainen!
»Tritt näher, wo die
Sinnenlust
Als Liebe gibt ihr wüstes
Ringen,
Und durch der eignen Mutter
Brust
Den Pfeil zum Ziele möchte
bringen,
Wo selbst die Schande
flattert auf,
Ein lustiges Panier zum
Siege,
Da rüttle hart: ›Wach auf,
wach auf,
Unsel'ger, denk an deine
Wiege!
»›Denk an das Aug', das
überwacht
Noch eine Freude dir
bereitet,
Denk an die Hand, die manche
Nacht
Dein Schmerzenslager dir
gebreitet,
Des Herzens denk, das einzig
wund
Und einzig selig deinetwegen,
Und dann knie nieder auf den
Grund
Und fleh um deiner Mutter
Segen!‹
»Und wo sich träumen wie in
Haft
Zwei einst so glüh ersehnte
Wesen,
Als hab' ein Priesterwort die
Kraft
Der Banne seligsten zu lösen,
Da flüstre leise: ›Wacht, o
wacht!
Schaut in das Auge euch, das
trübe,
Wo dämmernd sich Erinnrung
facht,
Und dann: Wach auf, o heil'ge
Liebe!‹
»Und wo im Schlafe zitternd
noch
Vom Opiat die Pulse klopfen,
Das Auge dürr, und gäbe doch
Sein Sonnenlicht um einen
Tropfen, -
O, rüttle sanft: ›Verarmter,
senk
Die Blicke in des Äthers
Schöne,
Kos' einem blonden Kind und
denk
An der Begeistrung erste
Träne.‹«
So rief die Zeit, so ward
mein Amt
Von Gottes Gnaden mir
gegeben,
So mein Beruf mir angestammt,
Im frischen Mut, im warmen
Leben;
Ich frage nicht, ob ihr mich
nennt,
Nicht fröhnen mag ich kurzem
Ruhme,
Doch wißt: wo die Sahara
brennt,
Im Wüstensand, steht eine
Blume,
Farblos und Duftes bar,
nichts weiß
Sie, als den frommen Tau zu
hüten
Und dem Verschmachtenden ihn
leis
In ihrem Kelche anzubieten.
Vorüber schlüpft die Schlange
scheu
Und Pfeile ihre Blicke
regnen,
Vorüber rauscht der stolze
Leu,
Allein der Pilger wird sie
segnen.
Mörike - Hülshoff
Meine Toten
Wer eine ernste Fahrt
beginnt,
Der Segen Not und frischer
Wind,
Er schaut verlangend in die
Weite
Nach eines treuen Auges
Brand,
Nach einem warmen Druck der
Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.
Ein ernstes Wagen heb' ich
an,
So tret' ich denn zu euch
hinan,
Ihr meine stillen strengen
Toten;
Ich bin erwacht an eurer
Gruft,
Aus Wasser, Feuer, Erde,
Luft,
Hat eure Stimme mir geboten.
Wenn die Natur in Hader lag,
Und durch die Wolkenwirbel brach
Ein Funke jener tausend
Sonnen, -
Spracht aus der Elemente
Streit
Ihr nicht von einer Ewigkeit
Und unerschöpften Lichtes
Bronnen?
Am Hange schlich ich, krank
und matt,
Da habt ihr mir das welke
Blatt
Mit Warnungsflüstern
zugetragen,
Gelächelt aus der Welle
Kreis,
Habt aus des Angers starrem
Eis
Die Blumenaugen
aufgeschlagen.
Was meine Adern muß
durchziehn,
Sah ich's nicht flammen und
verglühn,
An eurem Schreine nicht
erkalten?
Vom Auge hauchtet ihr den
Schein,
Ihr meine Richter, die allein
In treuer Hand die Wage
halten.
Kalt ist der Druck von eurer
Hand,
Erloschen eures Blickes
Brand,
Und euer Laut der Öde Odem,
Doch keine andre Rechte
drückt
So traut, so hat kein Aug'
geblickt,
So spricht kein Wort, wie
Grabesbrodem!
Ich fasse eures Kreuzes Stab,
Und beuge meine Stirn hinab
Zu eurem Gräberhauch, dem
stillen,
Zumeist geliebt, zuerst
gegrüßt,
Laßt, lauter wie der Äther
fließt,
Mir Wahrheit in die Seele
quillen.
Meine Toten
Meine Toten
Das Spiegelbild
Schaust du mich an aus dem
Kristall
Mit deiner Augen Nebelball,
Kometen gleich, die im
Verbleichen;
Mit Zügen, worin wunderlich
Zwei Seelen wie Spione sich
Umschleichen, ja, dann
flüstre ich:
Phantom, du bist nicht
meinesgleichen!
Bist nur entschlüpft der
Träume Hut,
Zu eisen mir das warme Blut,
Die dunkle Locke mir zu
blassen;
Und dennoch, dämmerndes
Gesicht,
Drin seltsam spielt ein
Doppellicht,
Trätest du vor, ich weiß es
nicht,
Würd' ich dich lieben oder
hassen?
Zu deiner Stirne
Herrscherthron,
Wo die Gedanken leisten Fron
Wie Knechte, würd' ich
schüchtern blicken;
Doch von des Auges kaltem
Glast,
Voll toten Lichts, gebrochen
fast,
Gespenstig, würd', ein
scheuer Gast,
Weit, weit ich meinen Schemel
rücken.
Und was den Mund umspielt so
lind,
So weich und hülflos wie ein
Kind,
Das möcht' in treue Hut ich
bergen;
Und wieder, wenn er höhnend
spielt,
Wie von gespanntem Bogen
zielt,
Wenn leis' es durch die Züge
wühlt,
Dann möcht' ich fliehen wie
vor Schergen.
Es ist gewiß, du bist nicht
Ich,
Ein fremdes Dasein, dem ich
mich
Wie Moses nahe, unbeschuhet,
Voll Kräfte, die mir nicht
bewußt,
Voll fremden Leides, fremder
Lust;
Gnade mir Gott, wenn in der
Brust
Mir schlummernd deine Seele
ruhet!
Und dennoch fühl' ich, wie
verwandt,
Zu deinen Schauern mich
gebannt,
Und Liebe muß der Furcht sich
einen.
Ja, trätest aus Kristalles
Rund,
Phantom, du lebend auf den
Grund,
Nur leise zittern würd' ich,
und
Im Grase
Süße Ruh', süßer Taumel im
Gras,
Von des Krautes Arome
umhaucht,
Tiefe Flut, tief tief trunkne
Flut,
Wenn die Wolk' am Azure
verraucht,
Wenn aufs müde, schwimmende
Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab,
Liebe Stimme säuselt und
träuft
Wie die Lindenblüt' auf ein
Grab.
Wenn im Busen die Toten dann,
Jede Leiche sich streckt und
regt,
Leise, leise den Odem zieht,
Die geschloßne Wimper bewegt,
Tote Lieb', tote Lust, tote
Zeit,
All die Schätze, im Schutt
verwühlt,
Sich berühren mit
schüchternem Klang
Gleich den Glöckchen, vom
Winde umspielt.
Stunden, flüchtger ihr als
der Kuß
Eines Strahls auf den
trauernden See,
Als des ziehenden Vogels
Lied,
Das mir nieder perlt aus der
Höh,
Als des schillernden Käfers
Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er
durcheilt,
Als der heiße Druck einer
Hand,
Die zum letzten Male
verweilt.
Dennoch, Himmel, immer mir
nur
Dieses Eine mir: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm
zieht,
Nur für jeden kärglichen
Strahl
Meinen farbig schillernden
Saum,
Jeder warmen Hand meinen
Druck,
Und für jedes Glück meinen
Traum.
Die Judenbuche
Lebt wohl
Prometheus
Die Judenbuche
Joseph
Sterbende Kreatur
Lebt wohl
Ledwina
Durchwachte Nacht
Prometheus
Copyright: Michael Blümel
Ausgewählt und zusammengestellt von Carl Gibson
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