Dienstag, 4. Dezember 2012

"Mit spitzer Feder" - schreiben gegen Herzinfarkt und Resignation

Carl Gibson: Essay zur Zeit

Kunst als Therapeutikum und Mission


Ich schreibe, also bin ich!?

 
Eine schreibt, vom Hass getrieben.

Ein anderer schreibt, weil er etwas zu sagen hat.

Viele schreiben aus Langeweile ... und auf der Suche nach der verlorenen Zeit, um über den Tag zu kommen oder um ihrer Existenz überhaupt einen Sinn zu geben.

Einer schreibt für Geld,

ein anderer für Ruhm und Ehre, über das Jetzt hinaus für den Eingang in die Geschichte.

Schließlich schreiben einige aus purem Idealismus heraus,

uneigennützig, nur, um der Kunst zu dienen.

 
Mancher schreibt aus Verzweiflung an der Welt, die so ist, wie sie ist;

Er schreibt aus der eigenen Ohnmacht heraus gegen Ungerechtigkeit und Lüge,

weil er es trotzdem wagen will,

weil er nicht anders kann.



Melancholischer Heiliger am Tauberufer in Bad Mergentheim


 
Geister variieren ihr Thema in Variationen der Worte virtuos wie die Genialsten der Musik die Töne und Melodien, getrieben vom erhabenen Impetus des Wahren, Schönen und Guten hin zur Offenbarung im symphonischen Zusammenklang.

 
Letztendlich schreiben da noch einige,

um der Wallungen Herr zu werden – aus reiner Selbsterhaltung heraus:

sie schreiben gegen Bluthochdruck und drohenden Herzinfarkt,

sie schreiben, weil sie die Wahrheit lieben,

weil sie – verliebt in das Leben, doch fern von Narziss – am Selbst festhalten.

Sie schreiben, weil sie nicht resignieren wollen.

Sie schreiben  wie Descartes, weil sie sind.

 

Ergo schrieb ich heute das Folgende:


Falsche Ikonen





Ein Brücken-Heiliger in Stein, Würzburg



Umwertung aller Werte?

Im langjährigen, schwierigen Kampf gegen den Kommunismus, gegen repressive Strategien und Mechanismen eines totalitären Systems hatten Bürgerrechtler und Opponenten einen besonderen Vorteil –
nicht das gute alte Recht stand ihnen zur Seite, die positive Setzung des Menschen in einer bestimmten Epoche,
sondern das „elementare Menschenrecht“,
das als „Naturrecht“ ein „göttliches Recht“ ist.

Einfacher ausgedrückt, „Ethos“, „Moral“, „abendländische Werte“, „Prinzipien“, „Grundrechte“, „Bürgerrechte“, alltäglich konkrete und„historische Wahrheiten“ waren stets auf ihrer Seite, während das ideologisch verbohrte Regime der Diktatur sich in seiner zynischen wie rücksichtlosen Machtentfaltung über all das, was der zivilisierten Menschheit heilig war, hinwegsetzte, um die Lüge zu kultivieren.


Viele Heilige und Ikonen - in einer alten orthodoxen Kirche in Bukarest

Inzwischen hat der von Kommunisten und Nationalsozialisten vorexerzierte Machiavellismus der Sonderklasse die demokratischen Parteien des Abendlandes erreicht, die angeblich christlich sozial ausgerichteten noch mehr als die sozialistischen und linksliberalen, Parteien, die um der Macht und der Wählerstimmen willen, Wahrheiten genauso preisgeben wie ihre prinzipienfernen Gegner und Feinde der Demokratie als Totengräber der Menschenrechte in Europa, ja weltweit.
Von politischer Kurzsichtigkeit bestimmt und ohne Rücksicht auf Verluste, wird der Staatsraison alles geopfert, was die Würde des Menschen bestimmt, was den "aufrechten Gang" ausmacht – Wahrheit, Gerechtigkeit … und dahinter die Freiheit.

„Ethos“, „Moral“, „abendländische Werte“, „Prinzipien“, „Grundrechte“,„Bürgerrechte“, alltäglich konkrete und „historische Wahrheiten“ – das alles interessiert nicht mehr, es sei denn als Mittel zum Zweck in den gedroschenen Phrasen demagogischer Sonntagsredner.

Menschenrechtsaktivisten, Bürgerrechtler, Aufklärer, kritische Intellektuelle, Philosophen, Künstler haben ausgedient.

Ihr Schweigen ist nun gefragt!

Den Dingen auf den Grund gehen –Wesen und Wahrheit heben, ans Licht befördern?

Das würde nur verwirren!

Wir leben heute in einer Zeit der Pseudowerte, der falschen Symbole und der falschen Ikonen;
Wir leben in einer Welt der Ablenkung und der Uneigentlichkeit, in der wie eh und je Geld und Macht den „Geist der Zeit“ diktieren, manipulieren, lenken, bestimmen;

Wir leben in Tagen, in welchen schamlos subtil die Lüge triumphiert,
scheinheilig über die Köpfe der Ahnungslosen und Verdummten hinweg.

Duckmäuserisches Funktionieren, am Besten in vorauseilendem Gehorsam und ohne Widerrede, ist dem kritischen Denken vorangestellt.
Die Logik liegt auf Eis.

Wahr ist, was dekretiert wird.

Die Wahrheit an sich interessiert nicht mehr.
Nicht etwa deshalb, weil sie zu kostbar ist, um sie dem Licht der Welt zu exponieren, sondern weil Halbwahrheiten, Verdrehungen, Täuschungen den Interessen der Scheinwelt besser dienlich sind als die nackte Wahrheit.

Aus diesem Grund haben Täuscher heute Hochkonjunktur, jene Heuchler vom Dienst, die Verdreher und Verfälscher, die falschen Ikonen.

Aus Stroh wird Gold gesponnen – aus Müll wird Geld gemacht.

Während die Marionette tanzt, lacht der Puppenspieler sich mephistophelisch ins Fäustchen, sagt ihm doch ein prüfender Blicks ins Kontor, dass mit dem Geld und Gold auch die Macht steigt wie das Glück des Mächtigen, der seinen Willen durchzusetzen vermag.
Glück stellt sich ein, wenn der Wille zur Macht Realität wird, wähnte Nietzsche, während Sartres Skepsis sich auf jene richtete, die mit hohen, ja mit den höchsten Preisen ausgezeichnet werden, die ein System zu vergeben hat.

Was ist authentisch?
Was soll nur echt wirken?

Was Nietzsche und Sartre durchschauten, ist auch heute noch gültig.

Der Dreck schwimmt oben.

Aus Müll wird Gold gemacht.

Das noch nicht durchschaute Rumpelstilzchen ist immer noch am Werk –
mit neuen Reimen …
und neuen Kleidern …
im faulen Staate, wo Leviathan regiert.

Wehe dem, der die Wahrheit der Mächtigen angreift!

Zum einsamen Rufer in der Wüste wird er,

wenn nicht gar zum Aussätzigen,

obwohl in einer Demokratie Macht nur auf Zeit gewährt wird.

 Carl Gibson




 
Fotos: Monika Nickel und Carl Gibson
© Carl Gibson

Herta Müller verhöhnt auch die Opfer von Auschwitz, Auszug aus: Carl Gibson, Vom Logos zum Mythos, 2015.

Wer die Diktatur faktisch entstellt, verfälscht die Geschichte und verhöhnt die Opfer der Diktatur.  Herta Müller hat beides getan - beuss...