Schriftsteller, geistig Prostituierte
und „nützliche Idioten“
Es gibt Schriftsteller, Schriftsteller …
und „Schriftsteller“.
Die ersten aus dieser Hierarchie der
literarisch Kreativen, sozusagen die Klassiker der Schreibenden Zunft,
verfassen ihr Werk um des Werkes willen, textimmanent, im ehernen Glauben an
Gehalt und Gestalt, bemüht, über das Bestehende hinaus zu gehen, um Neues zu
schaffen. Alter Wein in neuen Schläuchen behagt ihnen ebenso wenig wie neuer
Wein in alter Form. Von Verstand, Vernunft, von Logik und Verifizierbarkeit
geleitet versuchen sie, die Sprache auslotend neue Wege zu gehen, geistige Werte
zu schaffen, Substanz, ohne Rücksicht auf die Rezeption ihrer Werke durch Akklamation
der Literaturkritik oder der Leserschaft.
Wahre Kunst ist kompromisslos – und sie
wird ausschließlich vom Gewissen des Schriftstellers diktiert, der sich nicht
beirren lässt, auch wenn ihm das Lob der Massen ein Leben lang versagt bleibt oder die sonst bestellten
Lobhudler ausbleiben.
Diese Kaste unter den Schriftstellern
hat es schwer in unserer Zeit. Die großen Ehrungen und Preise werden ausbleiben, eben weil der Geschmack der Zeit entscheidet und das Zeitgemäße nur
sich selbst adelt – das, was modisch als Wert empfunden wird.
Zur zweiten Gruppe der Schriftsteller gehören
die eindeutig „politischen Schriftsteller“.
Sie zeigen Haltung,
sie haben einen Hafen, eine politische Heimat,
doch sie haben vor allem eine Mission:
Sie wollen verändern – das Land, in dem
sie leben,
die Gesellschaft, ihr Umfeld, ja selbst
die ungerechte Struktur der Welt.
Literatur ist für sie ein Mittel zur
Aufklärung,
ein Medium, um Menschen aller Nationen
zu erreichen,ein Instrument, Werte zu vermitteln und Werte darzustellen – über Geist und Kunst.
Nicht das bestimmt ihr ethisches Tun und
Handeln, was man früher abwertend „Tendenz“ genannt hat, sondern der
aufrichtige Glaube an ihre innere Mission, an ihre gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeit
in Freiheit, nur der Wahrheit verpflichtet.
Letztendlich gibt es da noch eine dritte
Kaste unter den so genannten Schriftstellern der Jetztzeit– die rezeptionsorientiert
schaffen,Huldiger des Zeitgeistes,
Dichter, Poeten, die das produzieren,
was die Zeit will,
was Geld einbringt,
was ihnen und anderen nützt,
auch wenn sie dabei ihre Seele verkaufen und den letzten Rest ihrer kümmerlichen Identität preisgeben.
In dieser letzten Kategorie der Verräter
des Geistes und der Kunst gibt es da noch eine unterste Schublade, die von Parias
besetzt wird.
Für diese Parias, denen noch andere
Assassinen des Geistes zuarbeiten, ist Literatur nur ein Mittel zum Zweck,
ein Instrument, um ihre egoistischen
Antriebe zu befriedigen,
um im Rampenlicht zu stehen, um gut“ zu
leben, auch wenn dabei das Mammon geopferte Gewissen und das eigene Seelenheil
auf Dauer Schaden nehmen.
Das sind die „Prostituierten des Geistes und der Kunst“, dubiose Charaktere des
Wortes und der Sprache, die sich selbst zum Werkzeug erniedrigen, damit andere
über sie zum Endzweck gelangen.
Der Puppenspieler zieht an den Strippen –
die Marionette muss tanzen.Sie hat keine andere Wahl, weil sie von Anfang an nur Puppe ist und ewig eine Puppe bleiben wird.
Versagt sie, wird sie ausgetauscht. Der
Puppenspieler findet schnell Ersatz.
Während echte Aufklärer und politische Schriftsteller
à la Voltaire, Heine oder Nietzsche von „intellektueller Redlichkeit“ und „innerer
Wahrhaftigkeit" bestimmt gegen den Geist ihrer Zeit und gegen die politisch-gesellschaftlichen
Verhältnisse ihrer Tage anschrieben, mutig und stets kritisch, üben sich die
Parias der Neuzeit in duckmäuserischer Servilität, einmal dem einen Herren
dienend, einmal dem anderen.
Als schnöden Opportunisten von Anfang an
ist es ihnen egal,
ob sie einem Despoten Untertan sind oder
einer demokratischen Partei,
Hauptsache, das Haben auf dem Auszug stimmt,
auch wenn das Sein auf der Strecke
bleibt.
Für dieses zerstörerische Selbstopfer
erfreuen sie sich am Schein, so lange, bis der Nimbus als Schein des Scheins
zerstiebt.
Täuschung der anderen ist ihr Programm.Selbsttäuschung ist die selbstmörderische Konsequenz davon.
Heiligt der Zweck alle Mittel?
Damit der Strippenzieher selbst gut
dasteht, äußerlich rein bleibt, wenigstens so lange man sein Werk nicht
durchschaut, wird die Puppe lügen müssen.
Sie wird Wahrheiten verkünden müssen,
die eigentlich Lügen sind.
So wird dieser Typus Schriftsteller zum „nützlichen Idioten“ eines politischen Systems,
einer Partei, eines Staates.
Woran erkennt man diesen „Staatsschriftsteller“?
An seinen Federn?
An seinen Werken?An seinen Taten?
Nein, nein!
Man erkennt ihn an seiner Haltung gegenüber
den Mächtigen!
Er wird das System, das ihn trägt und
gewähren lässt, nicht kritisch angehen, weder ideologisch, philosophisch, geistig,
noch durch Geißelung oder Anprangerung von Verfehlungen aktueller Akteure der
Politik.
Wie revanchiert sich die Macht?
Sie überschüttelt ihre Puppe mit höchsten
Ehrungen, obwohl die Lügenwelt des Puppenspiels längst durchschaut ist, während
die Kritiker der korrupten und pseudodemokratischen Regime leer ausgehen.
Die Staaten nominieren „ihre“ Schriftsteller
auch auf internationaler Ebene bis hin zum Nobelpreis – und sie setzen diese in
diskreter Machtausübung wahrscheinlich auch noch durch!?
Honi soit qui mal y pense!
Heuchelei hat immer schon Hochkonjunktur
– seit Menschengedenken, lange vor den sophistischen Machtmenschen und
Machiavelli.
Immer, wenn der Wille zur Macht sich
selbst zu verwirklichen sucht, bedarf es des Schriftstellers, des „nützlichen
Idioten“, um diesen Prozess mit zu ermöglichen und zu rechtfertigen.
Blicken wir uns doch um – wer wird
geehrt?
Wer geht leer aus?
Damit diese „nützlichen Idioten“ nicht
als die Handlanger und Helfershelfer auffallen, die sie in ihrem tiefsten Wesen
tatsächlich sind, rufen sie „Haltet den
Dieb“ und beschimpfen in schäbiger Deviation ihre Kritiker als „nützliche Idioten“
- in der Hoffnung, das billige, auf Effekthascherei gestützte Ablenkungsmanöver
möge die oberflächlichen Köpfe verwirren und das Täuschungsszenario der Lüge
noch eine Weile verlängern.
Doch Fakten sind Fakten – und die Wahrheit
lässt sich nicht für alle Zeiten aus der Welt verbannen.
Wenn die Substanz letztendlich zum Licht
dringt, wird der Puppenspieler, um sich selbst zu retten, sein Spielzeug fallen
lassen wie die zu heiß gewordene Kartoffel.
Der selbstverliebte Wille zur Macht findet
seine Grenze an Ethos und Wahrheit, die David über Goliath triumphieren lässt …
und über Leviathan.
Carl Gibson, Bücher
"Allein in der Revolte".
(Foto:Monika Nickel)
©Carl Gibson